Eine Einführung in die Arbeit von „United to End Racism“ („Gemeinsam Rassismus beenden“)

- United to End Racism

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Über weite Teile der Geschichte der Menschheit wurden Gruppen auf verschiedene Arten unterdrückt. Rassismus - als eine dieser Art von Unterdrückung – existiert schon seit vielen Jahrhunderten. Rassismus formt die Ungleichheiten unserer Gesellschaft und schreibt sie fort; er ist ein Teil unserer gesellschaftlichen Institutionen geworden.

Rassismus ist ein integraler Teil jeglicher Gesellschaftsformen. Es handelt sich dabei also nicht einfach um das abweichende Verhalten einer kleinen Gruppe von Menschen. Um Rassismus zu beenden, müssen Gesetzgebungen verändert werden; rassistisches Verhalten muss aufhören; Ungerechtigkeiten, die durch Rassismus entstanden sind, müssen behoben werden; und alle müssen sich vom Schaden, der ihnen durch Rassismus zugefügt wurde, erholen.

Rassismus bezeichnet die einseitige, institutionalisierte Misshandlung von Angehörigen der indigenen Völkergruppen sowie von Menschen aus Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika, dem arabischen Raum sowie ihrer Nachkommen. Rassismus hat mit der Hautfarbe dieser Menschen zu tun. Sie sind von Rassismus direkt betroffen. Rassismus bringt Menschen mit europäischer Abstammung – Weisse – dazu, sich als Agent/innen dieser Misshandlungen zu verhalten. Jeder Mensch wird durch Rassismus schwer verletzt. Allerdings ist dieses System – von ungleichem Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen, das mit Gewalt, angedrohter Gewalt, Fehlinformationen, Lügen, Isolation und Gier einhergeht – gegen die Angehörigen der betroffenen Gruppen gerichtet, und es wird von Weissen getragen.

Es ist also so, dass eine Gruppe das Ziel rassistischer Institutionen ist und eine andere Gruppe dazu konditioniert wird, diese rassistische Unterdrückung auszuführen. Dadurch wurden die Leben von Hunderten von Millionen von Menschen zerstört und es wurde ihnen durch Sklaverei, Apartheid und Rassendiskriminierung auf viele verschiedene Arten Schaden zugefügt. Diese Konditionierung hat aber auch die Leben derjenigen, die dazu gebracht wurden, als Agent/innen von Rassismus zu handeln, stark in Mitleidenschaft gezogen. 

Eigentlich sollte keine Gruppe und kein Individuum jemals Ziel von Rassismus werden. Keine Eigenschaft – sei sie real oder eingebildet – kann Rassismus rechtfertigen. Eine riesige Mehrheit der menschlichen Bevölkerung gehört zu Gruppen, die von Rassismus betroffen sind. Sie kommen von einer Vielzahl reicher und lebendiger Kulturen, von Kulturen, die für viele der grössten Errungenschaften unserer Art verantwortlich zeichnen. Es hat nie jemals eine rationale Rechtfertigung für Rassismus gegeben – noch wird es das in der Zukunft je geben.

Obwohl Rassismus gegen bestimmte Gruppen der Bevölkerung gerichtet ist, durchsetzt und beeinträchtigt er die gesamte Gesellschaft und begrenzt ihre Weiterentwicklung ernsthaft. Er setzt auch dem Fortschritt eines jeden Individuums dieser Gesellschaft hin zu einem vollen und mit Sinn erfüllten Leben Grenzen.

Ein wichtiger Teil der Tätigkeit von „United to End Racism“ ist es, dass diejenigen, die zu Agent/innen von Rassismus konditioniert wurden, daran arbeiten, sich nicht mehr rassistisch zu verhalten. Es ist zentral für den Fortschritt aller Menschen, dass diejenigen von uns, die von der Gesellschaft zu Agent/innen von Rassismus konditioniert wurden, das Beenden von Rassismus zu unserem Ziel machen. Rassismus hat unsere Leben negativ beeinträchtigt und es ist in unser aller Interesse, ihn so schnell wie möglich zu beenden.

 Die Bemühungen, Rassismus zu verstehen und seine Eliminierung aktiv anzugehen, haben so fest zugenommen, dass wir davon ausgehen können, dass wir Rassismus noch in diesem Jahrhundert beenden werden. An vielen verschiedenen Orten haben Leute die schlimmsten Auswüchse von Rassismus (wie die Sklaverei und Apartheid) unterbrochen und damit begonnen, durch breite politische Koalitionen abzusichern, dass Rassismus in vielen unserer gesellschaftlichen Institutionen keinen Platz mehr hat.

Um Rassismus zu beenden, ist es wichtig, dass wir rassistische Gesetzgebungen aus unseren Institutionen entfernen und faire und gerechte Lebensbedingungen für alle sicherstellen. Wenn uns dies gelingt, können wir zukünftige Generationen vor dem Schaden bewahren, der früheren Generationen durch Rassismus zugefügt wurde. Es ist aber ebenso wichtig, den Schaden, den Individuen durch Rassismus erlitten haben, zu heilen. Dies ist nicht gleichbedeutend damit, rassistische Gesetzgebungen zu eliminieren. Nur wenn wir die individuellen Wunden heilen, können wir davon ausgehen, dass rassistische Haltungen und Verhaltensweisen nicht weitergehen und dass rassistische Gesetzgebungen nicht in anderer Gestalt wiederauftauchen.

Um Rassismus komplett zu eliminieren, müssen wir drei Formen von Verletzungen heilen

Die erste Form ist der Schaden, der von Rassismus betroffenen Individuen zugefügt wurde – der Schmerz, als unterlegen behandelt worden zu sein, dass einem grundlegende materielle Bedürfnisse vorenthalten wurden, dass einem die Teilhabe an einem gerechten Anteil der Ressourcen abgesprochen wurde, Erniedrigungen, Angriffe, Drohungen gegen Leib und Leben und vieles mehr. Dieser Schaden wird den Individuen durch den Kontakt mit gesellschaftlichen Institutionen und durch die Handlungen einzelner Menschen zugefügt.

Die zweite Form von Schaden besteht darin, dass die Angehörigen der betroffenen Gruppen Rassismus „verinnerlichen“. Rassistische Haltungen können so überwältigend sein, dass sie von den Betroffenen aufgenommen werden. Rassismus beeinflusst so die Art und Weise, wie die Betroffenen sich selber sehen und sich fühlen. Dies kann dazu führen, dass sie sich selber (oder andere Angehörige ihrer Gruppe) auf eine ähnliche Weise misshandeln, wie sie es von den Agent/innen der Unterdrückung erlebt haben. Das nennen wir „verinnerlichten“ Rassismus.

 Die dritte Form von Schaden ist der Einfluss auf das Denken und das Wesen derjenigen, die von der Gesellschaft dazu gebracht werden, als Agent/innen zu handeln (also Weisse). Niemand wurde als Agent/in von Rassismus geboren. Niemand kam mit rassistischen Einstellungen auf die Welt. Jede Person mit rassistischen Haltungen wurde zuerst schlecht behandelt und falsch informiert. Er oder sie wurde dazu konditioniert, diese Rolle zu spielen.

 Obwohl den Angehörigen der Unterdrückergruppe mehr Rechte und bessere materielle Lebensbedingungen zugestanden werden als den Angehörigen der betroffenen Gruppe, wurden ihre Leben und ihr Denken durch Rassismus negativ beeinflusst. Rassismus fügt uns allen Schaden zu. Er ist nicht im Interesse von irgendeinem menschlichen Wesen.

(Alle drei Formen werden im Artikel „Working Together to End Racism“ ausführlicher beschrieben.)

Alle drei Formen von Verletzungen können geheilt werden

Sogar unter der schwersten rassistischen Unterdrückung können Menschen vorankommen – einfach durch die Kraft ihres eigenen Denkens und ihrer Entschlossenheit. Wenn sie sich aber nicht von den emotionalen Wunden, die Rassismus ihnen zugefügt hat, erholen, wird ihr Denken und ihr Verhalten weiter von diesen Verletzungen beeinträchtigt. Diese Verletzungen können diese Menschen stark belasten; und sie verlangsamen die Arbeit, die nötig ist, um institutionelle Veränderungen zu bewerkstelligen. Wenn Rassismus nicht verheilt, dann begrenzt und beschädigt er die Fähigkeiten von uns allen, zu denken und zusammenzuarbeiten; so limitiert er auch unser Vermögen, alle anderen Formen von Unterdrückung in unseren Gesellschaften zu beenden. Das macht die Arbeit und das Leben derjenigen, die institutionalisierten Rassismus bekämpfen, schwieriger. Wenn Menschen im Gegensatz dazu die Auswirkungen von Rassismus heilen können, dann fällt es ihnen leichter, zusammenzuarbeiten und innerhalb ihrer eigenen Befreiungsbewegung wie auch zu allen anderen Befreiungsbewegungen starke Allianzen aufzubauen.

Wenn jegliches rassistisches Verhalten und alle rassistischen Gesetzgebungen in diesem Moment verschwinden würden, wäre der durch Rassismus bereits angerichtete Schaden nach wie vor da. Für diejenigen von uns, die von Rassismus direkt betroffen sind, würden uns verschiedene Gefühle – z.B. uns angegriffen, wertlos, misshandelt, ignoriert zu fühlen oder an uns zweifeln zu müssen - weiterhin verwirren und unsere Leben aushöhlen. Auch für diejenigen von uns, die von der Gesellschaft zu Agent/innen von Rassismus gemacht wurden, würde der Schaden davon, dazu konditioniert worden zu sein, auf der Basis von Rassismus zu handeln und die Welt zu interpretieren, weitergehen. (Wir würden z.B. weiterhin fühlen, dass unsere eigene Gruppe überlegen ist und uns vor von Rassismus Betroffenen fürchten und uns in ihrer Gesellschaft nicht wohl fühlen.) Das würde uns verwirren und sowohl unser Denken als auch unser Verhalten beeinträchtigen und so zu neuen rassistischen Gesetzgebungen und Verhaltensweisen führen.

Die Arbeit von „United to End Racism“ ist es, den Schaden, der Einzelnen durch Rassismus zugefügt wurde, zu beheben. Wenn wir die durch Rassismus entstandenen Verletzungen heilen, führt dies sowohl bei Betroffenen als auch bei Weissen dazu, dass sich emotionale Spannungen, die noch aus frühen, schmerzhaften Erfahrungen stammen, lösen. Wenn wir von aufmerksamen Zuhörer/innen ermutigt werden, unsere Geschichten davon, wie Rassismus uns und unser Leben beeinträchtigt hat, erzählen können, werden wir anfangen, unsere Verletzungen zu heilen. Wenn wir diese Geschichten nicht nur erzählen, sondern auch spüren und zeigen können, wie sich diese Situationen für uns angefühlt haben – wenn wir unsere Wut, unsere Trauer oder unsere Angst zeigen und ausdrücken – werden wir uns mehr und mehr von den durch Rassismus erlebten Beeinträchtigungen befreien. Alle emotionalen Wirkungen von Rassismus können geheilt werden, wenn man genug Zeit, Aufmerksamkeit und Verständnis bekommt.

Diese Heilungsarbeit ist nicht einfach. Viele von uns entziehen sich ihr – obwohl uns so die Wut, die Trauer oder die Angst aus der Vergangenheit weiterhin beeinflussen kann. Vielleicht fühlt es sich so an, als ob wir unser Leben nur weiterleben konnten, indem wir uns betäubten und die Geschichten, wie wir verletzt wurden, in uns eingeschlossen hielten. Es kann sich unerträglich anfühlen, sich diese Verletzungen genauer anzuschauen und sie wieder zu spüren – vielleicht weil die meisten von uns so lange keine Gelegenheit hatten, unsere Geschichten zu erzählen. Einige von uns denken, dass diese Verletzungen gar nicht mehr da sind, da wir seither weiter funktioniert und unser Leben weiter gelebt haben – oft sogar sehr gut. Wir denken nun fälschlicherweise, dass wir es „überwunden“ haben. Oder aber wir akzeptieren stillschweigend die Idee, dass es unmöglich ist, die Wunden von Rassismus ganz zu heilen. 

Aus unserer Arbeit in „United to End Racism“ wissen wir, dass es möglich ist, sich komplett vom Schaden, den Rassismus in unserem Leben angerichtet hat, zu befreien. Wir wissen, dass jede und jeder von uns sich davon befreien kann. Wir wissen, dass die scheinbar unerträglichen Gefühle aufhören, wenn der Heilungsprozess angefangen hat. Und wir merken, dass wir klarer denken und uns wirkungsvoller gegen Rassismus einsetzen können, seit wir diese Heilungsarbeit machen. Sich von den Wirkungen von Rassismus zu befreien, ist kein Ersatz dafür, sich zu organisieren und gegen institutionalisierten Rassismus aktiv zu werden; aber wir von „United to End Racism“ sind der Überzeugung, dass diese Heilungsarbeit ein zentraler Bestandteil unserer Aktivitäten zur Eliminierung von Rassismus ist.

Übersetzt von Andi Geu und Laura Matthäus, Dezember 2008

 

 


Last modified: 2019-05-02 14:41:35+00