Die Verwirrung über uns selbst beenden

Von Tim Jackins

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 Wie zügig wir Fortschritte an unseren alten Schmerzerfahrungen machen werden, hängt von unseren Beziehungen ab und von einigen anderen Dingen – eines dieser Dinge ist unsere Perspektive von uns selber.

 Manchmal treiben wir uns mit harscher Selbstkritik dazu aktiv zu werden. Es ist wichtig, fähig zu sein, Dinge in Gang zu bringen, aber harsche Selbstkritik ist eine schwache und reaktive Basis dafür und baut auf Hoffnungslosigkeit als Antriebskraft. Es gibt eine viel bessere Basis.

 Stellen wir uns die Unterdrückungen, durch die eine reaktive Gesellschaft unterstützt wird - Rassismus, Sexismus, Klassismus, religiöse Unterdrückung, usw. - als massive Säulen vor. Ein Grund, dass sie nicht umstürzen, liegt darin dass zwischen ihnen all die Aufzeichnungen von Entmutigung und Isolation eingelagert sind. Unterdrückende Gesellschaften sorgen dafür, dass alle Menschen sich machtlos und schlecht fühlen. Dieses ist einer der Gründe dafür, dass unsere zwischenmenschlichen Verbindungen nicht sehr gut sind.

 Du kannst dich nicht mehr in schlechtes Selbstwertgefühl flüchten. Du musst damit aufhören. Das bedeutet nicht, von nun an vorzutäuschen als gäbe es diese Schmerzaufzeichnungen plötzlich nicht mehr. Aber es bedeutet, dass du aufhören musst den „Überzeugungen", die daraus resultieren, Glauben zu schenken. Wenn solche „Gedanken" in deinem Kopf kreisen, kannst du dich einfach davon abwenden mit der Bemerkung, "die Entscheidung ist getroffen; diesen Pfad betrete ich nicht mehr, außer um zu entlasten". Brüte nicht mehr darüber nach. Wir haben es klar genug als etwas identifiziert über das gecounselt werden muss. Darüber hinaus ist es wertlos. Es nützt dir nicht im Geringsten in diese Verworrenheit hineingezogen zu werden. Auch wenn du weit genug fortgeschritten bist, um dieses innere Streitgespräch zu gewinnen, ist es eine Zeitverschwendung diesen Umweg des inneren Zwistes anzutreten. Jedes Mal wenn es deinen Verstand auf diese vertraute Route drängt, ist es möglich zu entscheiden, diesen Weg nicht zu betreten. Es bringt nichts, die Ressourcen deines Geistes in diesen Sumpf zu senken. Sich nicht dort hinziehen zu lassen, muss nahezu zur Routine werden.

 Jedes Mal, wenn wir dem Druck dieser Schmerzerfahrung nachgeben, schwimmen wir mit dem Strom von Unterdrückung in der Gesellschaft. Dieser kann nur dadurch so weiterbestehen, dass er dafür sorgt, dass wir uns alle derart niedergemacht, hilflos und wertlos fühlen, dass wir es nicht auf die Reihe bekommen, Beziehungen zu Verbündeten aufzubauen und die Dinge vorwärts zu bringen. Wenn wir glauben, dass wir es verdient haben uns so schlecht uns selbst gegenüber zu fühlen, dann machen wir nicht nur mit unseren individuellen Schmerzerfahrungen gemeinsame Sache, wir kollabieren auch mit den Tendenzen in der Gesellschaft, die sich darauf richten alle Menschen zu unterdrücken.

 Das Bild, das die Gesellschaft uns zurückreflektiert, ist eine absolute Täuschung. Das Bild, das uns als klein, dumm, sich irrend, inkonsequent, uneffektiv darstellt, wird ausgespielt und in uns installiert, und dann wieder und wieder restimuliert. Wir müssen darum ringen, das wahre Bild von uns selber klar genug darzulegen, um die Schmerzerfahrung unglaubwürdig zu machen, wenn sie in unseren Köpfen widerhallt. Keine/r von uns muss den schlechten oder schuldbeladenen Gefühlen, die aus unseren Schmerzerfahrungen resultieren, glauben.

Die Zerstörung der Perspektive des einzelnen Menschen ist ein Teil gesellschaftlicher Unterdrückung. Die Gesellschaft zerstört die Fähigkeit des einzelnen Menschen, sich als machtvoll, wertvoll und als "der Mühe wert" zu erkennen. Eine Entscheidung, gegen die Muster von Selbstherabsetzung zu kämpfen, und die automatische Selbstverdammung nicht zu akzeptieren ist nicht egoistisch. Es ist ein wichtiger Teil im Durchkämpfen den jede/r durchmachen muss, um gegen Unterdrückung aufzustehen. Wir werden verletzbar bleiben, so lange wir dazu gebracht werden können, uns selbst gegenüber schlecht zu fühlen. Das Wesentliche daran, den Kampf mit dieser Schmerzerfahrung aufzunehmen, er kann nicht in Selbstzufriedenheit enden: der Kernpunkt ist, voll und ganz zu erkennen, wozu wir fähig sind, einschließlich des Vorgehens gegen jeden unterdrückenden Aspekt der Gesellschaft. Auch wenn es sich oft so anfühlt, es gibt keinen echten Konflikt dazwischen, gut für uns als Einzelne zu sorgen und mit voller Kraft gegen Unterdrückung aufzustehen,

 Wir kämpfen uns in Isolation und Hoffnungslosigkeit weiter, weil es "nur ich" ist. Stattdessen könnten wir zurücktreten und wahrnehmen, dass "nur ich" sechs Milliarden Menschen sind. Unsere inneren Kämpfe sind kein isoliertes Ereignis. Sie sind Teil des Mechanismus, der verhindert, dass ich Menschen gegen die unterdrückerische Gesellschaft auflehen und Dinge verändern.

 Es müsste ein Vergnügen sein, die tragenden Pfeiler der unterdrückenden Gesellschaft ins Wanken zu bringen. Warum nicht? Es müsste doch eigentlich ein Vergnügen sein und etwas worauf wir uns freuen. Das ist mein Ziel - sich darauf zu freuen, die nächste Etappe anzutreten und auf sie zuzugehen, nicht nur zu wissen, dass sie kommt, sondern ihr mit Erwartungsfreude zu begegnen. Alle Chancen nutzen zu können, die Dinge von ihrem aktuellen reaktiven Kurs abzubringen und sie dahin zu bewegen, wo wir wieder frei darüber entscheiden können, was wir tun wollen und wo wir über einzelne Menschen und die Gesamtsituation nachdenken können.

 Wann bist du zuletzt morgens aufgewacht, voller Tatendrang aus dem Bett gesprungen und hast dich auf die Herausforderungen des Tages gefreut? Manche Leute erinnern sich an einen solchen Morgen. Vielleicht warst du sieben und es war Sommer. Die unterdrückerischen Strukturen der Gesellschaft waren gerade nicht präsent, so dass du aufwachen, fröhlich sein und dich daran freuen konntest, die Dinge anzugehen.

 Wir werden Strukturen verändern. Wir werden das Momentum der Veränderung beschleunigen. Im kommenden Jahr wird unsere Arbeit schneller vorangehen. Um dies zu erreichen, werden wir an dem arbeiten müssen, was uns an einem negativen Selbstbild festhalten lässt und was uns dazu verleitet uns voreinander zu verstecken. Das erfordert, dass wir zurückgehen und unseren Verletzungen ins Auge sehen – uns anschauen, welche Schmerzmuster wir uns zu eigen gemacht haben und entscheiden, dass sie alle abgeschafft werden müssen.

 Das Ringen wird zwar nicht vorüber sein, aber wir werden über eine Ausstiegsmöglichkeit aus den alten Mustern verfügen. Wenn wir von unseren Schmerzmustern unter Druck gesetzt werden, wenn wir uns den Kopf zerbrechen, was wir hätten tun sollen oder nicht tun sollen, dann wissen wir, wie wir da aussteigen können.

 Uns schlecht zu fühlen, ist keine Option mehr, den Schmerzmustern Glauben zu schenken kann nicht mehr unsere Wahl sein.

Rational Island Publishers (Hg.): Present Time. Nr. 122, Januar 2001, Seattle.

Übersetzt von Uta Allers, Inka Schwand und Gudrun Onkels


Last modified: 2019-05-02 14:41:35+00